2018


Bonny

Ungefähr im Sommer 2010 tauchte ein junger Kater bei uns im Garten auf, der dort einfach öfter lag und ruhte. Vicky und Royan hatten keinerlei Probleme mit ihm und er nicht mit ihnen, er war einfach ab und an anwesend. Als Jamie im Herbst 2010 einzog, gehörte auch er „dazu“.
Ich machte mir weiter keine Gedanken, denn der Kater wirkte wie ein junger Gastkater, der sein festes Zuhause irgendwo in der Nachbarschaft hat, unser Garten hatte ja öfter Katzenbesuch aus dem Umfeld.

Vicky und Bonny, er spielte gern mit ihrer Leine, die sich so verlockend mit Vicky mitbewegte

 

Im Winter fiel uns auf, dass der junge Gastkater anscheinend immer, also ganztägig, draußen ist. Er hatte einen sehr dicken Pelz bekommen und war bei jedem noch so kalten und miesen Wetter unterwegs, weshalb er den Spitznamen Eisbär bekam. In der ganz fiesen Kälte des Winters bat er dann um Einlaß. Nun lasse ich selbstverständlich nicht ohne Rücksprache mit den Haltern fremde Katzen zu uns ins Haus, doch es war bitter kalt und der Kater den ganzen Tag im Freien gewesen, also dufte er dann in den Eingangsraum und unseren Katzen wurde der Zutritt zum Raum verwehrt. Ich wollte zunächst herausfinden, warum Eisbär unbedingt rein wollte und wer seine Halter waren. Eisbär genoß die Wärme und Ruhe, er legte sich in den Korbsessel und schlief quasi "wie ein Toter". Ich sah regelmäßig nach ihm und nach ein paar Stunden wollte er wieder raus.
Ab dieser Zeit begann ich nach seinem Halter zu forschen, fand jedoch keinen und auch keine Hinweise auf sein Zuhause. Eisbär tauchte immer häufiger auf und kam nun fast jeden Abend zum Schlafen rein.

Im Januar wurde Eisbär im Verhalten merklich dominanter und roch intensiver „nach Kater“, bald roch es auch draußen an verschiedenen Ecken nach Urin. Er kam immer häufiger mit Kampfspuren zu Besuch, beinahe jeden Tag hatte er neue Schrammen/Wunden. Ganz offensichtlich war der Jungkater (geschätzte 1,5 Jahre) nicht kastriert. Zudem hinkte er zeitweise sehr stark. Zwei gute Gründe ihn unserem Tierarzt vorzustellen, doch er hatte ja womöglich einen Halter, den ich zu meinem großen Bedauern noch immer nicht hatte ausfindig machen können. Ich war fest entschlossen mit seinem Halter zu reden und notfalls zu verhandeln, denn als unkastrierter Kater hätte sich Eisbär mit Sicherheit das Wohlwollen aller Nachbarn verscherzt. Wer möchte schon markierte Gartenmöbel/Haustüren haben oder immer wieder die eigenen Katzen von Kampfspuren mit einem potenten Kater gezeichnet sehen? Von möglichem Nachwuchs unter den Streunerkatzen mal ganz zu schweigen, die alle kein einfaches Leben haben und die Tierheime sind bereits voller Katzen die pfotenringend ein neues Heim suchen.
Doch jegliche Nachforschungen führten weiterhin ins Nichts, sehr viele Nachbarn, auch weitläufige Nachbarn kannten Eisbär, doch ein Halter konnte nicht gefunden werden. Er war auch nirgends (z.B. TASSO) vermißt gemeldet.
Eisbärs Verhalten würde dazu natürlich passen, er war zwar sozial eingestellt und sehr lieb, aber er schien früh den intensiven Kontakt zu Menschen und freundlich gestimmten anderen Katzen verloren zu haben, in den letzten Monaten hatte er sich förmlich an allen zugänglichen Näpfen durchgefuttert, was auch einer der Gründe für die erbitterten Feindschaften mit bestimmten anderen Katzen war.

Tja, ich wollte einerseits Eisbär seine geliebte Freiheit und sein Umfeld erhalten, aber andererseits auf keinen Fall wissentlich einen unkastrierten Kater in der Freiheit belassen. Also ließ ich ihn nach wochenlanger, ergebnisloser Haltersuche bei unserem TA kastrieren, gesundheitlich durchchecken und nach einem Chip sehen. Leider war er nicht gechipt, also ließ ich ihn chippen und registrierte ihn dann erstmal auf mich, damit es im Zweifelsfall einen Ansprechpartner für Eisbär gab. Ab dem Zeitpunkt übernahm ich die Verantwortung für ihn, hielt aber weiter Ausschau nach einem Halter, schaute durch Suchmeldungen, ob er irgendwo vermißt wurde... Fehlanzeige, so wurde er dann „mein“ Kater.
Die ersten Tage nach der Kastration bekam er noch Antibiotika und zum Glück kam er immer pünktlich zu seinen Zeiten zum Schlafen und auch zum Futtern vorbei. Sein Bein, mit dem er hinkte und es beim Sitzen nicht richtig aufsetzte, war nicht erkennbar verletzt, doch er hatte fühlbare Hämatome. Mit Rotlicht über seinem Lieblingsschlafplatz verschwand die Symptomatik im Laufe der nächsten Wochen.
Eisbär kam immer regelmäßiger und blieb länger, er und unsere Katzen schnüffelten sich regelmäßig durch die Zwischentür an und irgendwann liess ich sie offen und die Katzen trafen sich nun auch im Kernrevier und nicht nur draußen. Eisbärchen war groß, kräftig, dominant und unsere Katzen alle hochsozial und grad Royan wenig durchsetzungsstark, dafür einfach lieb und fürsorglich zu jeder Katze. Doch Bärchen schien zu spüren um was es für ihn ging und er wollte dazugehören, er ordnete sich ein. Ihn interessierten die Spiele der anderen, er schaute sich vieles ab, doch sein eigenes Spiel geriet viel zu schnell zu heftig, das hat sich dann über die Jahre sehr gebessert, er nimmt sich inzwischen auch zurück
und spielt perfekt mit Ronya, indem er sie spielerisch verfolgt, dann aber selbst umdreht und wieder davonläuft.


Draußen gab es noch längere Zeit Kämpfe mit anderen Katzen, immer die gleichen im Grunde, alte Feinde oder Konkurrenten, d.h. Bärchen verteidigt sein Revier, sein Heim und seine Futterquelle, die anderen Katzen das ihre. Ganz normal, doch unsere Katzen gingen damals mit den Artgenossen im Umfeld tolerant um, solange die anderen freundlich waren und so gab es immer wechselseitige friedliche Besuche.
Eisbär wurde festes Familienmitglied und in 
Bonny, Bonny Eisbär von der Rosenhöhe, umbenannt, denn auf Eisbär als Name reagierte er wenig. Und er suchte nun ganz bewußt die Nähe seiner Gefährten.

 

Rückblick:

Wenn ich die über die letzten Jahre zusammengetragenen Puzzleteile an Informationen aus meiner Umgebung über Bonnys erstes Lebensjahr zusammenfüge, dann bleibt es zwar Spekulation, doch stimmig mit seinen Prägungen und seinem Verhalten. Seine Geschichte wäre dann in etwa:
Bei einem älteren Mann als Kitten aus dem Wurf der unkastrierten Katze im Freigang aufgewachsen, Menschenkontakt von klein an gewöhnt, hat früh gelernt sich Futter in der Umgebung zu verschaffen, ist aber leider auch viel zu früh von seiner Mutter und Geschwistern getrennt worden und war allein auf sich gestellt. Die meisten seiner Geschwister wurden vom Tierheim übernommen, er entkam dem Einsammeln scheinbar.
Das erklärt auch seine sehr geringe Frustrationstoleranz, denn er hat in den entscheidenden Lebenswochen mangels Spiel mit Geschwistern und Umgang mit der Mutter nicht lernen können (er war allein) Grenzen anderer zu respektieren, sie hinzunehmen. Wenn Bonny seine Wünsche/seinen Willen nicht genügend ausleben kann, findet er für die innere Erregung entsprechend artgemässe und kätzisch normale Aktionen und Tätigkeiten Stress abzubauen und das Wohlbefinden zu erhöhen, doch im gemeinsamen Zusammenleben sind sie unerfreulich.

Sein Spiel mit anderen Katzen war anfangs viel zu grob, er war „ungeübt“ und hat damals viel von Royan gelernt. Das gleiche gilt für den Umgang mit Menschenhaut, viel zu oft sind seine Krallen im Einsatz, auch wenn die Situation sie nicht erfordert.


Über die Jahre hat Bonny insgesamt sehr viel hinzugelernt. Seinen größten Entwicklungssprung hat er mit etwa 8 Jahren gemacht, als mein erster Ehemann auszog. Bonny ist eigentlich ein „Männerkater“, er geht gern zu Männern, um sich flauschen zu lassen oder sich dazu zu legen.
Nun dachte ich, Bonny wird daheim zukünftig etwas fehlen... doch nein, er holt es sich zunehmend auf andere Weise von mir ab und ist von sich aus viel sanfter geworden, genießt zartere Begegnungen und liebt den Platz auf meinem Kopfkissen. Sein Wesen ist insgesamt weicher geworden, ein Stück der harten Schale ist quasi abgefallen :-) , er braucht sie nicht mehr.

 

Ein sehr unschöner Aspekt aus seiner frühen Heimatlosigkeit, der ihm allerdings damals sein Überleben sicherte, ist seine Offenheit gegenüber anderen Menschen:

Noch heute erbeutet er Fremdfutter oder nimmt das Angebot anderer Menschen an Futter an, leider!
Er braucht es nicht, er bekommt hochwertiges Futter seiner Wahl so viel er möchte daheim, es steht ihm als Buffet zur Verfügung, 24 Stunden am Tag, so wie allen meinen Katzen.
Das Fremdfutter bekommt Bonny regelmäßig nicht, es verursacht sehr häufig Durchfall, manchmal auch Erbrechen. Manche Nacht stehe ich mehrfach auf, weil Bonny aufs Klo geht und wasserartigen Durchfall hat – er muß dann wiederholt Medikamente bekommen, um den Durchfall zu stoppen. Es stinkt erbärmlich und das Klo... ihr wollt nicht wissen, wie es ausschaut. Gern würde ich dann die Menschen, die Bonny das Futter reichten, in den Momenten aus dem Bett holen und zum Schauplatz bitten.
Hat Bonny Hausarrest (nach OP´s oder anderweitig gesundheitlich indiziert), gibt es nach kurzer Zeit keinerlei Verdauungsprobleme mehr. Hurra - nur würde ich ihm einen wesentlichen Teil seiner Lebensqualität nehmen, müßte er ausschließlich drinnen leben, also darf er raus und ich muß in kauf nehmen, dass die Fremdfütterei seine Gesundheit beeinträchtigt und womöglich sich sein Leben dadurch verkürzt.
Ich wünsche ihm und mir, dass er nur noch daheim futtert
und andere Menschen ihm nichts, absolut nichts mehr geben!
 

Sein bester Buddy, Kater Teddy, wünscht sich das auch, denn wie oft wartet er sehnlichst auf die Rückkehr Bonnys von dessen langen Streifzügen und überwacht von den Fenstern aus aufmerksam das Umfeld, immer auf Ausschau nach seinem Kumpel. Sichtet er ihn endlich, macht er mich akustisch darauf aufmerksam und empfängt Bonny dann auch schon an der Tür, um ihn in die Küche zu begleiten.

Aus seiner früheren Zeit „da draußen“ ist Bonny ein Lungenschaden geblieben, d.h. ein Teil der Lungenbläschen ist zerstört und je nach Wetter und Anstrengung hustet Bonny dann auch Schleim ab, was sich wie ein Erstickungs-/Hustenkrampf zeigt, der dann aber keine weiteren Befindlichkeitsstörungen nach sich zieht. Bei starker Kälte überanstrengt sich Bonny manchmal bzw. überfordert seine Aktivität dann die Lunge und er ist in Folge völlig fertig und matt. Zum Glück scheint er inzwischen seine Grenzen besser zu berücksichtigen.

 

Bonny ist eine Schicksalszusammenführung und dennoch ein Wunschkater. In dem Jahr, in dem er im Garten auftauchte, hatte ich mir zuvor vage einen weißen Kater gewünscht und war auch immer mehr der Überzeugung, Vicky und Royan bräuchten Verstärkung im Team. Es zog dann im Herbst Jamie ein, an dem ich einfach „hängengeblieben“ war, als ich für jemand anderen nach einem Kater schaute. Fellfarben und Äußerlichkeiten sind beim Einander finden Nebensache. Jamie war dann nicht weiß, stattdessen schwarz mit weißen Abzeichen :-) . Meinen „weißen“ Kater hatte ich auch bereits, ich wußte es nur noch nicht.


Bonnys Herz hat am 27.11.22 aufgehört zu schlagen und mich erstmal fassungslos und voller Zweifel zurückgelassen.
Er hatte ein vermutliches Sarkom am rechten Vorderbein entwickelt, die Therapie dafür an dieser Körperstelle ist leider Amputation des Beines, weil sich ein Sarkom sehr ins umliegende Gewebe ausfächert und einfach nicht komplett entfernt werden kann. Ich habe sehr lange überlegt und wollte ganz sichergehen, einen Biopsietermin hatten wir vereinbart. Denn Bonny war ein so aktiver Kater, der ein sehr großes Streifgebiet hatte und genau das auch zum Wohlbefinden gebraucht hat. Würde er mit drei Beinen zurechtkommen, nicht nur körperlich, auch psychisch? Innerhalb weniger Tage vergrößerte sich jedoch die Beule am Bein auf mehr als das Doppelte und begann zu suppen. Bonny weigerte sich ins Haus zu kommen,  nur wenn ich ihn gehen ließe würde er die Türschwelle übertreten oder sich greifen lassen. Ich akzeptierte seine Wahl.
Es war Samstag nachmittags und wir lernten eine für uns neue Tierarztpraxis kennen, groß, mit vielen Fachgebieten, eigenem Labor, Notdienst, OP-Team und sehr empathisch und fein im Umgang mit jedem Tier. Bonny sei ein so starker Kater, erst 13 Jahre alt, er käme mit drei Beinen zurecht und das Sarkom sei kein Grund zum Einschläfern (Bonnys Wunsch). Bonny fühlte sich gut aufgehoben und trug die Entscheidung mit, er wurde geröngt und es waren keine weiteren Tumore oder Streuungen erkennbar, die den lebensverlängernden Sinn der schweren OP in Frage gestellt hätten. Wir bekamen einen Termin für Mittwoch, den wir dann auf Dienstag vorziehen konnten, denn Bonny litt sehr, die Beule juckte und schmerzte, trotz Schmerzmittel.
Bei der OP wurde auch der Grund für Bonnys lebenslanges Lungenproblem ersichtlich, das bislang keiner unserer verschiedenen Tierärzte als chronische Bronchitis der unteren Atemwege erkannt hatte. Bisher hatte Bonny auch gut damit gelebt, doch nun kam die schwere OP hinzu. Das genaue Antibiogrammergebnis dauert ein paar Tage, Bonny bekam aber schon AB (es war auch das Passende wie sich herausstellte), denn die OP hatte ihn sehr mitgenommen, was normal ist bei der Schwere des Eingriffs. Bonny war absolut schwach, seine Bronchitis stark aufgeflammt und er verweigerte jegliche Nahrung, ich flößte sie ihm ein. Um seinen Bewegungsradius zur Schonung klein zu halten, bezog Bonny das Bad. Er ging selbständig aufs Klo. Am nächsten Tag war er von allein in die Badewanne gesprungen (über das Dach von Katzenklo) und hinaus. Abends wollte er unbedingt raus und ich spürte er braucht das, um für sich zu wissen "ich kann klar kommen". Denn Bonny wollte immer allein zurecht kommen. Also ging es unter Aufsicht zu einem "Rundgang", Bonny schaffte immer eineinhalb Meter, wollte aber unbedingt allein zum Katzenbrunnen (ich hatte überall für "Treppen" gesorgt) und schlief dann auf dem Sofa ein. Nachts kam er wieder vorsichtshalber ins Bad. Am nächsten Tag war er anämisch und sehr schlapp. Das kommt nach schweren OPs durchaus vor, die Abwehr reagiert über wie auf eine Entzündung. Vielleicht war auch sein Rundgang durchs Haus zuviel Anstrengung gewesen, er hatte das aber gebraucht, um sich nicht selbst aufzugeben, er brauchte den Beweis auch dreibeinig überall hin zu kommen.
Bonny bekam Cortison um das Immunsystem zu bremsen, was zwar ungünstig für die Bronchitis war, doch seine Blutwerte waren wichtiger. Wir sind täglich zur TApraxis, Blutwerte kontrolieren, Infusionen, Bonny baute weiter ab, Futter mußte ich ihm flüssig verabreichen, freiwillig nahm er nichts. Das Bad wurde zusätzlich beheizt, damit Bonny nicht auskühlte. Sonntag vormittags hatten sich die Blutwerte stabilisiert, das Cortison konnte verringert werden und ich dachte, nun müssen wir nur Geduld haben, ich ihm weiter die Nahrung konsequent eingeben und dann schafft es Bonny wieder zurück ins Leben. Abends rief mich sein lautes Miau zu seinem letzten Atemzug.
Fassungslos hielt ich Bonny im Arm. Es schien soo ungerecht, er hatte die letzten 7 Tage so viel mitgemacht, so viel gelitten und wofür? Hätten wir seinem ursprünglichen Wunsch entsprochen, wäre ihm das Leid erspart geblieben. Es gab so viele gute Zeichen, so viel günstige Fügungen bei der gesamten Geschichte (die hier nicht ausgeführt sind) und dann verliert er doch?!  Ja, ich habe alles was mir möglich war getan, doch wäre es nicht besser gewesen es zu lassen?
Es hat einige Tage gedauert bis ich meinen Frieden mit dem Ganzen gefunden habe, mit der Erkenntnis, daß wir immer nur im jeweiligen Moment handeln können und aus allem, was sich uns da zeigt. Leid gehört leider manchmal auch zum Lebensweg, wir können das nicht immer vermeiden. Heute würde ich erneut so entscheiden, weil es eine Chance für Bonny gab auch dreibeinig ein aktives, erfülltes und langes Leben zu führen. Und ja, genau diese Chance ist denke ich das Leid des Weges für Bonny und auch jeden Cent der einigen Tausend Euro wert gewesen.
Bonny ist 13 Jahre alt geworden, 12 davon durften wir gemeinsam verbringen, danke mein großer Schatz ♥ !


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Bonny und Teddy